»Der Bär, der nicht da war« ist eine einfache Geschichte über die Suche nach Identität, erzählt mit viel absurdem Witz. Sie behandelt Fragen, die einen ab Kindesalter immer wieder beschäftigen: Warum zählt man überhaupt mit Zahlen? Wachsen Dinge auch, wenn man nicht hinschaut, und woher weiß ich, dass ich wirklich ich bin?
Regie: Antonia Brix
Ausstattung: Margrit Schneider
Musik: Simon Ho
Licht: Bernhard Ott/ Felix Kremser
Dramaturgie: Sonja Karadza
Regieassistenz: Helena Köster
es spielen:
Dominik Knapp,
Dietmar Kohn,
Daniela Mohr,
Christoph Müller,
Renate Obermaier,
Heinzl Spagl
Technische Leitung: Bernhard Ott
Technik, Ton, Licht: Felix Kremser, Hanna Rebstock
Bühnenbau: Tom Toussaint,Felix Kremser, Hanna Rebstock, Christian Weber, Bernhard Ott
Wie aus einem tollen Bilderbuch ein intelligentes Theaterstück wird: "Der Bär, der nicht da war" im Freiburger Theater im Marienbad.
BZ 11. April 2016
Ein tolles Bilderbuch auf die Bühne zu bringen, ist eine dankbare und eine undankbare Aufgabe. Dankbar, weil der israelische Autor Oren Lavie mit "Der Bär, der nicht da war" eine intelligent-skurrile Textvorlage gibt, die Harry Rowohlt dazu noch kongenial ins Deutsche übersetzt hat. Es liegen also Worte vor, denen vertraut werden kann, und die, wie sich bei der Premiere am Freitag im Freiburger Theater im Marienbad zeigte, auch glänzend für die Bühne eignen, obwohl sie für ein Bilderbuch geschrieben sind.
Das wiederum liegt zum einen womöglich daran, dass Autor Lavie theateraffin ist und schon viele Bühnenstüke geschrieben hat. Zum anderen jedoch, und das ganz unzweifelhaft, daran, dass die Marienbad-Crew die undankbare Aufgabe ganz wunderbar gemeistert hat. Die bestand darin, sich aus der von Illustrationsaltmeister Wolf Erlbruch überzeugend gestalteten Bildwelt zu löen und, statt ein Bilderbuch zu
kopieren, eine ganz eigene Bühnensprache zu finden.
Konkret ist das Regisseurin Antonia Brix dadurch gelungen, gleichzeitig zu multiplizieren und zu reduzieren. So taucht der Bär gleich in sechsfacher Gestalt auf, was dem Grundthema der Suche nach dem, was Identität eigentlich sein soll, eine überzeugende, über das Buch hinausgehende Dimension hinzufügt. Toll, wie die Worte – vom beginnenden Juckreiz als Geburt der Identität aus der Reizung des Außenorgans Haut heraus über die Begegnung mit anderen bis zur Gegenüberstellung des erworbenen Identitätskonstrukts in Form des fremdvertrauten eigenen Hauses – im Ensemble elegant hin und her wandern, Fell, Bär, Rind, Salamander, Schildkröte oder Pinguin werden können. Ganz unangestrengt kommt da die sympathische Grundhaltung rüber, dass das Ich immer auch ein Wir, ein Vieles ist. Kontakt als Geheimnis der Bäwerdung, nicht Abschottung. Wie schön muss es sein, so ein Sechsmenschbär zu sein, der übrigens ein "sehr netter, glücklicher und außerdem sehr hübscher" ist.
Dass man auch als Zuschauer so leicht ins Bäwerden reinschlüpfen kann, liegt am zweiten Kniff, der Reduktion. Keine aufwendigen Tierkostüme, keine Requisitenorgie, einfach schlichte Klamotten und ein paar hohe weiße Rollkästen, den Rest erzeugt das, was gutes Bühnenhandwerk immer wieder so charmant faszinieren lässt: die Kunst mit wenigen Mitteln große Imaginationen zu erzeugen. Um Schildkröte zu werden, muss man manchmal nur die Zeit dehnen, um den grübelnden Pinguin plausibel zu machen, genügt ein wandernder Schatten.
Nach der kinderlosen Abendpremiere lässt sich das zwar nur vermuten, aber das Stück wird sicher auch für Achtjährige funktionieren. Mit der magischen Kunst der Bärwerdung tun sich Jüngere erfahrungsgemäß eh eher leichter als Alte. Vor allem wenn sie so einladend serviert wird.
Autor: Jürgen Reuß
Fotos Matthias Lange